Außerordentliche Kündigung und Videoüberwachung sowie der kleine Jägermeister, so könnte der Fall auch lauten. Der Arbeitgeber hat das Arbeitsverhältnis gekündigt, weil er dem Kläger den Diebstahl zweier Flaschen Jägermeister vorgeworfen hatte. Diesen Vorwurf konnte der Arbeitgeber dem Kläger nur machen, weil er den Kläger mit einer heimlich angebrachten Videokamera filmte. Hier muss jedoch ergänzt werden, dass der Diebstahl des Jägermeisters nicht auf dem Video zu sehen war. Es war lediglich zu sehen, wie sich der Kläger in einem Bereich bückt, in der Jägermeister gelagert wurde. Im Rahmen einer Nachkontrolle stellte man fest, dass ein bodennahes Paket geöffnet war und zwei Flaschen fehlten. Der Tag des behaupteten Diebstahls war der 22.12.2019.
Am 27.12.2019 konfrontierte der Arbeitgeber den Kläger mit dem Vorwurf des Diebstahls. An diesem Gespräch nahmen der Betriebsleiter, ein Abteilungsleiter, ein Mitglied des Betriebsrates sowie der Kläger in Person teil. Die Videoaufnahmen zeigte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht. Der Kläger stritt den Vorwurf ab. Im Anschluss stellte der Arbeitgeber den Kläger frei. Er hörte den Betriebsrat zur beabsichtigen außerordentlichen und ordentlichen Kündigung an. Nach dem der Betriebsrat keine Stellung abgab, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis sowohl außerordentlich als auch ordentlich.
In rechtlicher Hinsicht befasst sich das Gericht mit einer Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Probleme. Zum einen stehen natürlich die außerordentliche Kündigung und Videoüberwachung auf dem Prüfstand, dies jedoch auch unter Berücksichtigung der Anhörung des Betriebsrates. Das Gericht erörtert Fragen der Beweisverwertung und es geht auf die Voraussetzungen des 26 Bundesdatenschutzgesetz ein.
Die Rechtliche Bewertung
Vorab: ein Diebstahl auch geringwertiger Sachen rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung. Eigntums- und Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers stellen regelmäßig einen wichtigen Grund an sich für einen wichtigen Grund des Arbeitsverhältnisses dar (vgl. nur BAG vom 31.07.2014 — 2 AZR 407/13).
Ein typischer und dennoch gravierender Fehler den der Arbeitgeber begeht: Er nimmt eine Tatkündigung an, obwohl er tatsächlich lediglich wegen des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung bzw. Straftrat kündigt. Der Arbeitgeber hat weder gesehen, ob der Kläger die Flaschen entwedet hat, noch war dies auf den Aufnahmen ersichtlich. Er hätte daher den Betriebsrat auch zu einer Verdachtskündigung anhören müssen, statt zu einer Tatkündung. Im Ergebnis führt dies zur Rechtswidrigkeit der Anhörung und somit zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Nach dem Urteil des Gerichts ist die Kündigung aber auch unwirksam, weil die Videoüberwachung rechtswidrig war. Hier nimmt das Gericht sogar in Kauf, dass der Betriebsrat zur Installation nicht angehört worden war. Dies ist an sich genommen unter dem Gesichtspunkt der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates problematisch. Der Arbeitgeber trägt jedoch zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte nicht einmal vor, sondern trägt — mündlich! — in der Verhandlung vor, dass es einen “gewissen Schwund” gegeben hätte. Dies ist aus Sicht des Arbeitgebers grob fahrlässig. Es muss zum Verlust des Kündigungsschutzprozesses führen. Der Arbeitgeber, der mittels Videoüberwachung oder anderer technischer Einrichtungen in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer eingreifen will, muss zwingend die Verhältnissmäßigkeit des Eingriffs prüfen und dokumentieren.
Fazit:
Arbeitgeber haben das Recht, wenn auch nur eingeschränkt, Straftaten und schwere Pflichtverletzungen mittels Videotechnik zu überwachen. Wer jedoch als Arbeitgeber Straftaten bzw. Straftäter mittels heimlicher Videoüberwachung überführen will, muss zwingend im Vorhinein die Voraussetzungen der Rechtsprechung beachten. Hierzu gehört insbesondere eine Abwägung und Dokumentation der betroffenen Rechtsgüter des Arbeitgebers und der betroffenen Arbeitnehmer wie ebenso eine Abwägung zu der Frage ob Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates unbeachtet bleiben. Wer diese Vorgaben nicht beachtet, kann auf der Videoüberwachung beruhende Kündigungen nicht rechtssicher durchsetzen.